Wie können wir helfen?

Ortschaften in der Kommunalpolitik

< zurück

aus der Kommunal-Info 4/2018
von Dr. Achim Grunke

Mit dem Zusammenschluss bzw. der Eingliederung vieler Gemeinden durch die Gemeindegebietsreform 1999 und in den Folgejahren hat die Ortschaftsverfassung in Sachsen noch mehr an Bedeutung gewonnen. Wurden 1990 noch 1.619 kreisangehörige Städte und Gemeinden in Sachsen gezählt, so waren es bis 1994 nur noch knapp 970, nach der Gemeindegebietsreform 1999 nur noch 537 und mit Stand vom 1. Januar 2018 noch ganze 418. Verschuldung und finanzielle Zwänge der Gemeinden und die Schrumpfung der Bevölkerung haben diesen Prozess vorangetrieben.

Nach § 65 der Sächsischen Gemeindeordnung1 kann für nach dem 1. Mai 1993 im Rahmen einer Gebietsänderung entstandene Ortsteile einer Gemeinde die Ortschaftsverfassung eingeführt werden. Dabei können mehrere benachbarte Ortsteile zu einer Ortschaft zusammengefasst werden. Außerdem können bestehende Ortschaften einer Gemeinde durch Beschluss des Gemeinderates und im Einvernehmen mit den Ortschaftsräten zu einer Ortschaft vereinigt werden. Der Beschluss der Ortschaftsräte bedarf jeweils der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder der betreffenden Ortschaften.

Kreisangehörige Städte und Gemeinden erhalten eine Übergangsfrist bis längstens Ende 2024, um auch weiterhin die Ortschaftsverfassung für Ortsteile ohne Eingemeindungshintergrund einzuführen, wenn die erstmalige Wahl des Ortschaftsrates vor dem 31. Dezember 2024 stattfindet.

Örtliche Identität bewahren
Die Ortschaftsverfassung stellt im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung eine besondere Selbstverwaltungsform2 dar. Sie soll die die Integration von Ortsteilen in das Gemeindeganze unterstützen, die örtliche Identität und eine angemessene Eigenverantwortlichkeit der Ortschaft bewahren helfen und mehr bürgerschaftliche Mitwirkung ermöglichen.

Die Ortsteile sollen über eine ausreichende Bevölkerung verfügen und ein erkennbares örtliches Eigenleben zeigen. Die Zusammenfassung mehrerer Ortsteile zu einer Ortschaft erlaubt die Schaffung angemessener innergemeindlicher Strukturen und verhindert eine zu große und damit unübersichtliche Zahl von Ortschaften.

Mit der Möglichkeit, die Ortschaftsverfassung einzuführen, soll „die mit den Gemeindezusammenschlüssen verloren gegangene örtliche demokratische Substanz… mit der Möglichkeit eigenverantwortlicher bürgerschaftlicher Verwaltung in der engeren örtlichen Gemeinschaft in gewissem Umfang wieder ausgeglichen werden. Genutzt werden sollen die besonderen Ortskenntnisse, die eine sachgerechte Berücksichtigung der örtlichen Belange ermöglichen und eine bürgernahe Verwaltung gewährleisten sollen.“3

Ortschaften verfügen jedoch nicht über jene Zuständigkeiten wie sie den Gemeinden zukommen. Sie besitzen keine eigene Rechtspersönlichkeit und sind keine rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern nur Verwaltungsbezirke einer Gemeinde mit der Besonderheit einer eigenen bürgerschaftlichen Vertretung in Gestalt des Ortschaftsrats. Sie haben keinen eigenen Haushalt und können Ausgaben nur im Rahmen der Mittel beschließen, die ihnen der Gemeindehaushalt zuweist. Obwohl sie sich nicht auf die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 des Grundgesetzes berufen können, sind sie bei Verletzung der ihnen im „Innenverhältnis“ zustehenden Rechte, z.B. bei Verletzung des Anhörungsrechts, im Kommunalverfassungsstreit klageberechtigt. Die Klage ist dabei gegen die Gemeinde zu richten.4

Festlegungen in Hauptsatzung 
Die Einführung der Ortschaftsverfassung liegt ganz in der Kompetenz des Gemeinderats und liegt grundsätzlich in seinem Ermessen. Ein Selbsteinsetzungsrecht durch die Bürgerinnen und Bürger der Ortschaft besteht nicht. Entscheidet sich der Gemeinderat für die Einführung einer Ortschaftsverfassung, ist das in der Hauptsatzung zu regeln. In der Hauptsatzung sind folgende Bestimmungen vorzunehmen:

  •  die Einführung der Ortschaftsverfassung als solche (§ 65 Abs. 1);
  •  das territoriale Gebiet der Ortsteile, für die die Ortschaftsverfassung eingeführt werden soll;
  •  die Zahl der Ortschaftsräte (§ 66 Abs. 2).
  •  welche weiteren Angelegenheiten der Gemeinderat dem Ortschaftsrat zur dauernden Erledi
    gung übertragen möchte, die die Ortschaft betreffen (§ 67 Abs. 3).

Eingliederungs- oder Vereinigungsvertrag
Die Einführung der Ortschaftsverfassung kann aber auch im Ergebnis einer Eingliederung oder Vereinigung von Gemeinden durch den Eingliederungs- bzw. Vereinigungsvertrag (§ 9 Abs. 5) erfolgen. In diesem Falle ist nachfolgend eine entsprechende Anpassung in der Hauptsatzung vorzunehmen.

Die Einhaltung von Zusagen aus dem Eingemeindungsvertrag kann die aufnehmende Gemeinde mit einem allgemeinen „Haushaltsvorbehalt“ mittels einer einfachen Rats- oder Verwaltungsentscheidung nicht einfach ins Leere laufen lassen und sich so von „unwirtschaftlichen“ Regelungen des Eingemeindungvertrags trennen. Grundsätzlich sind auch „unwirtschaftliche“ Bestimmungen von Eingliederungsverträgen einzuhalten, soweit sie im Rahmen der gesetzlichen Gestaltungsfreiheit ausgehandelt wurden und wirksam sind. Eingliederungsverträge werden gerade zu dem Zweck abgeschlossen, verbindliche Regelungen für den Fall zu treffen, sollte die aufnehmende Gemeinde den Inhalt früherer Zusicherungen nicht mehr als zweckmäßig erachten.5

Der Ortschaftsrat 
Die Wahl des Ortschaftsrates erfolgt wie für den Gemeinderat nach den Bestimmungen des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalwahlordnung. Ortschaftsräte und Gemeinderat haben grundsätzlich die gleiche Wahlperiode. Wenn die Einführung der Ortschaftsverfassung während der Wahlperiode des Gemeinderates stattfindet, erfolgt die Wahl nicht für die volle Dauer von fünf Jahren, sondern nur für die verbleibende Wahlperiode.

Wahlberechtigt und wählbar sind alle Bürger der Gemeinde (dazu zählen auch die ausländischen Unionsbürger), die am Tage der Wahl seit mindestens drei Monaten in der Ortschaft wohnen. Auch wer innerhalb der Gemeinde in die Ortschaft umzieht, ist ohne Wartezeit wahlberechtigt und wählbar. Die Eigenschaft einer eigenständigen „Ortschaftsbürgerschaft“ gibt es indes nicht.
Die erstmalige Einberufung des neugewählten Ortschaftsrates erfolgt durch den Bürgermeister, weil noch kein Ortsvorsteher gewählt ist. Er hat auch die Aufgabe, die Ortschaftsräte in der ersten Sitzung öffentlich auf die gewissenhafte Erfüllung der Aufgaben als Ortschaftsrat zu verpflichten. Wird die Ortschaftsverfassung jedoch durch Eingliederungs- bzw. Vereinigungsvertrag eingeführt, so nimmt, sofern vereinbart, der bisherige Bürgermeister diese Aufgaben wahr, dem das Amt des Ortsvorstehers übertragen wurde.
Die Zahl der zu wählenden Ortschaftsräte ist in der Hauptsatzung der Gemeinde festzusetzen. Bei einer erstmaligen Einführung der Ortschaftsverfassung ist darauf zu achten, dass die die Bestimmung der Zahl der Ortschaftsräte rechtzeitig, d.h. spätestens zur öffentlichen Bekanntmachung der Wahl am 69. Tag vor der Wahl in Kraft tritt.

Der Ortsvorsteher 
Der Ortsvorsteher ist nach § 68 zugleich Vorsitzender des Ortschaftsrates sowie ständiger Stellvertreter des Bürgermeisters und der Beigeordneten beim Vollzug der Beschlüsse des Ortschaftsrates.

Der Ortschaftsrat wählt den Ortsvorsteher und einen oder mehrere Stellvertreter für seine Wahlperiode. Es gelten die allgemeinen Wählbarkeitsvoraussetzungen zur Bürgermeisterwahl, d.h. Voraussetzung ist die deutsche Staatsangehörigkeit und die Vollendung des 18. Lebensjahres sowie die persönlichen Voraussetzungen zur Ernennung in das Beamtenverhältnis; das 65. Lebensjahr darf nicht vollendet sein. Der Ortsvorsteher ist zum Ehrenbeamten auf Zeit zu ernennen. Bürgermeister und Beigeordnete können nicht gleichzeitig Ortsvorsteher sein, da diese Personen Weisungs- und Vertretungsbefugnisse haben, die einer Personalunion entgegenstehen.

Die Amtszeit des Ortsvorstehers endet mit der Amtszeit der Ortschaftsräte. Der Ortsvorsteher führt nach Freiwerden seiner Stelle die Geschäfte bis zur Ernennung des neugewählten Ortsvorstehers weiter. Für den Fall, dass er die Geschäfte nicht weiterführt, nimmt der an Lebensjahren älteste Ortschaftsrat die Aufgaben des Ortsvorstehers wahr.

Der Vorsitz im Ortschaftsrat steht allein dem Ortsvorsteher zu, erforderlichenfalls seinem Stellvertreter. Hingegen dürfen weder der Bürgermeister noch ein Beigeordneter diese Funktion ausüben. In seiner Funktion als Vorsitzender des Ortschaftsrats ist der Ortsvorsteher auch nicht an Weisungen des Bürgermeisters gebunden.
Bei Gemeindeeingliederungen kann vereinbart werden, dass dem bisherigen Bürgermeister bis zum Ablauf seiner Amtszeit das Amt des Ortsvorstehers übertragen wird; mit der Übertragung des Amtes ist er stimmberechtigtes Mitglied des Ortschaftsrates. Außerdem kann vereinbart werden, dass der Ortsvorsteher, wenn er als Bürgermeister bisher hauptamtlicher Beamter auf Zeit war, hauptamtlicher Beamter auf Zeit bleibt.

Als ständiger Vertreter des Bürgermeisters und in Gemeinden mit Beigeordneten auch als Vertreter der Beigeordneten bei Vollzug der Beschlüsse des Ortschaftsrates unterliegt der Ortsvorsteher allgemein oder im Einzelfall den Weisungen des Bürgermeisters und der Beigeordneten und ist damit in die Verwaltungshierarchie der Gemeinde eingebunden. Allerdings bezieht sich das Weisungsrecht nur auf jene Fälle, in denen der Ortsvorsteher den Bürgermeister oder den Beigeordneten vertritt. Handelt er dagegen in seiner originären Zuständigkeit als Ortsvorsteher im Rahmen der dem Ortschaftsrat zugewiesenen Aufgaben (§ 67), besteht grundsätzlich kein Weisungsrecht des Bürgermeisters oder der Beigeordneten.

Stellt der Bürgermeister jedoch fest, dass Beschlüsse des Ortschaftsrats rechtswidrig sind, kann er eingreifen und dem Ortvorsteher die Weisung erteilen, entsprechende Schritte nach § 52 Abs. 2 zu deren Aufhebung einzuleiten. Ebenso kann der Bürgermeister in dringenden Angelegenheiten nach § 52 Abs. 3, deren Erledigung auch nicht bis zu einer frist- und formlos einberufenen Sitzung des Ortschaftsrat aufgeschoben werden kann, entsprechende Weisungen erteilen.

Örtliche Verwaltung
Nach § 65 Abs. 4 kann in den Ortschaften eine örtliche Verwaltung eingerichtet werden, die auch für mehrere benachbarte Ortschaften zuständig sein kann. Diese örtliche Verwaltung ist nur ein unselbständiger Teil der Gemeindeverwaltung und soll dazu dienen, im Gebiet der Ortschaft eine bürgernahe Verwaltung zu platzieren.

Die Einrichtung der örtlichen Verwaltung erfolgt nicht durch eine Regelung in der Hauptsatzung im Ergebnis eines Gemeinderatsbeschlusses, sondern unterliegt dem Organisationsrecht des Bürgermeisters nach § 53 Abs. 1. Dabei sind etwaige haushaltsrelevante Vorgaben des Gemeinderats nach § 28 oder mögliche Festlegungen aus Eingliederungsbzw. Vereinigungsverträgen nach § 9 zu beachten. Die Ernennung, Einstellung und Entlassung des Leiters der örtlichen Verwaltungsstelle hat im Benehmen mit dem Ortschaftsrat zu erfolgen (§ 67 Abs. 2).

„Die Organisation der örtlichen Verwaltung ist im Grundsatz Aufgabe des Ortsvorstehers. Da er jedoch dem Bürgermeister gegenüber weisungsgebunden ist, kann er seine Vorstellungen diesem gegenüber jedoch nicht durchsetzen, sondern ist auf dessen Zustimmung angewiesen.“6

Aufgaben des Ortschaftsrats
In § 67, Abs. 1 werden jene Aufgaben aufgelistet, die in die originäre Zuständigkeit des Ortschaftsrates fallen und über die er im Rahmen der ihm zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel entscheiden kann:

  • die Unterhaltung, Ausstattung und Benutzung der in der Ortschaft gelegenen öffentlichen Einrichtungen, deren Bedeutung über die Ortschaft nicht hinausgeht, mit Ausnahme von Schulen;
  • die Festlegung der Reihenfolge der Arbeiten zum Um- und Ausbau sowie zur Unterhaltung und Instandsetzung von Straßen, Wegen und Plätzen, deren Bedeutung über die Ortschaft nicht hinausgeht, einschließlich der Beleuchtungseinrichtungen;
  • die Pflege des Ortsbildes sowie die Unterhaltung und Ausgestaltung der öffentlichen Park- und Grünanlagen, deren Bedeutung nicht wesentlich über die Ortschaft hinausgeht;
  • die Förderung von Vereinen, Verbänden und sonstigen Vereinigungen in der Ortschaft;
  • die Förderung und Durchführung von Veranstaltungen der Heimatpflege und des Brauchtums in der Ortschaft;
  • die Pflege vorhandener Patenschaften und Partnerschaften;
  • die Information, Dokumentation und Repräsentation in Ortschaftsangelegenheiten.

Zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten ist der Gemeinderat zwar befugt, die Zuständigkeiten im Einzelnen abzugrenzen oder auch durch allgemeine Richtlinien zu regeln.  Soweit der Ortschaftsrat sich jedoch in seinem originären Aufgabenbereich bewegt, kann ihm der Gemeinderat in diesem Bereich keine Weisungen erteilen.

Weitere Aufgabenübertragung
Nach § 67, Abs. 2 können dem Ortschaftsrat vom Gemeinderat „weitere Angelegenheiten“ zur dauernden Erledigung übertragen werden. Diese Angelegenheiten müssen in der Hauptsatzung hinreichend bestimmt sein. Zur Vermeidung der Überschneidung von Zuständigkeiten muss es sich dabei um Aufgaben handeln, die ausschließlich in die Zuständigkeit dieser Ortschaft fallen. Es genügt nicht, dass die Angelegenheit auch die Ortschaft betrifft. Nicht übertragbar sind auf den Ortschaftsrat jene Angelegenheiten, die auch nicht auf beschließende Ausschüsse übertragen werden können.

Weist eine Hauptsatzung dem Ortschaftsrat z.B. die Kompetenz für die Ausgestaltung und Unterhaltung des Feuerlöschwesens zu, soweit es den Ortsteil betrifft, so erstreckt sich damit grundsätzlich nicht die Entscheidungsbefugnis über die Personalangelegenheiten.7
Bei den „weiteren Angelegenheiten“, die dem Ortschaftsrat zur dauernden Erledigung übertragen wurden, kann der Ortschaftsrat dem Gemeinderat eine Angelegenheit zur Beschlussfassung unterbreiten, wenn sich im Einzelfall eine besondere Bedeutung für die Gemeinde ergibt. Für einen solchen Antrag ist die Zustimmung von einem Fünftel aller Mitglieder des Ortschaftsrates erforderlich. Der Gemeinderat seinerseits kann jedoch die Behandlung ablehnen und an den Ortschaftsrat zurückgeben.

Andererseits kann der Gemeinderat bei diesen „weiteren Angelegenheiten“ die Zuständigkeit an sich ziehen und Beschlüsse des Ortschaftsrats, so lange sie noch nicht vollzogen sind, ändern oder aufheben.

Der Ortschaftsrat kann auch mit der Vorberatung einer Angelegenheit betraut werden, die die Ortschaft berührt und für die eine Entscheidung im Gemeinderat oder im beschließenden Ausschuss ansteht.8

Finanzielle Ausstattung
Nach § 67, Abs. 4 sind dem Ortschaftsrat zur Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben angemessene Haushaltsmittel zu Verfügung zu stellen. Die ortschaftsbezogenen Haushaltsansätze werden im Rahmen der Gesamtausgaben der Gemeinde unter Berücksichtigung des Umfangs der in der Ortschaft vorhandenen Einrichtungen festgesetzt. Was angemessen ist, richtet sich nach den finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde sowie dem Umfang der gesamtgemeindlichen Aufgaben und Verpflichtungen auf der einen Seite und dem finanziellen Bedarf in der Ortschaft, insbesondere dem für die Errichtung und Unterhaltung der in der Ortschaft vorhandenen Einrichtungen auf der anderen Seite.

Dem Gemeinderat steht bei der Festlegung der Mittel ein erheblicher Einschätzungsspielraum zu, jedoch darf der Betrag nicht gleich „Null“ sein. Es muss sichergestellt sein, dass der Ortschaftsrat die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben nach § 67 Abs. 1 und die „weiteren Angelegenheiten“ nach § 67 Abs. 3 überhaupt erfüllen kann.9
Bei der Aufstellung des Haushalts steht dem Ortschaftsrat ein Anhörungsrecht und auch ein Vorschlagsrecht zu. Deshalb ist der Ortschaftsrat im Aufstellungsverfahren rechtzeitig zu beteiligen, damit er Gelegenheit hat, seine Vorstellungen zu äußern und seinen Mittelbedarf rechtzeitig anzumelden.

Die Zuweisung von Haushaltsmitteln an den Ortschaftsrat führt nicht dazu, dass für die Ortschaften ein eigener Haushaltsplan aufzustellen ist, Ortschaften haben keine eigene Finanzhoheit und kein eigenes Budgetrecht. Auch sind Einzelhaushaltspläne für einzelne Ortschaften sind nicht zulässig.

Diese der Ortschaft unmittelbar zugewiesenen Mittel sind von den Mitteln zu unterscheiden, die die Gemeinde im Rahmen ihres Haushalts zugunsten ihrer Ortschaften verwendet oder die einer Ortschaft direkt zugeordnet werden können.
Außerdem ist es nicht möglich, den Ortschaften Haushaltsmittel zur eigenen „freien Verfügung“ zuzuweisen. Der Haushaltsgrundsatz der sachlichen Spezialität verlangt, dass die Ausgaben nach hinreichend bestimmten Einzelzwecken zu veranschlagen sind. Im Rahmen der einzelnen Haushaltstitel ist es allerdings möglich, durch entsprechende erläuternde Planvermerke die Haushaltsmittel auf die einzelnen Ortschaften aufzuteilen.10

Anhörungs- und Vorschlagsrecht
Bei Angelegenheiten, die für die Ortschaft von besonderer Bedeutung sind, hat der Ortschaftsrat nach § 67, Abs. 6 ein Anhörungsrecht. Eine besondere Bedeutung für die Ortschaft ist dann gegeben, wenn die Ortschaft selbst als eigenes Gebilde gegenüber der Gemeinde in ihren Aufgaben, Rechten, Befugnissen und in gewisser eigener räumlicher und kultureller Entwicklung betroffen ist. Es genügt deshalb nicht, wenn die Entscheidung einer bestimmten Angelegenheit die Ortschaft irgendwie berührt, es muss schon eine konkrete, die Belange der Ortschaft in spezieller Weise berührende Auswirkung festzustellen sein.11

Das Anhörungsrecht besteht insbesondere zu folgenden Angelegenheiten:

  • bei der Aufstellung der ortschaftsbezogenen Haushaltsansätze,
  • der Wahrnehmung der gemeindlichen Planungshoheit, bei der Aufstellung und Änderung von Bebauungsplänen und
  • der Vermietung, Verpachtung oder Veräußerung der in der Ortschaft gelegenen öffentlichen Grundstücke.

Der Beschluss des Ortschaftsrates mit dem im Rahmen der Anhörung Stellung genommen wird, ist zwingend zum Beratungsgegenstand des Gemeinderates bzw. des beschließenden Ausschusses zu machen. Eine Bindung an die Stellungnahme besteht allerdings nicht. Das Unterlassen der Anhörung stellt einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, der zur Rechtswidrigkeit des Gemeinderatsbeschlusses führt. Außerdem ist es opportun, den Ortschaftsrat auch über den Komplex der anhörungspflichtigen Gegenstände hinaus anzuhören. Ein Vorschlagsrecht hat der Ortschaftsrat zu allen Angelegenheiten, die die Ortschaft betreffen, dies ist also nicht nur auf „wichtige“ Angelegenheiten“ beschränkt. Ein konkreter Ortschaftsbezug muss aber ebenso gegeben sein. Mit dem Vorschlagsrecht hat der Ortschaftsrat die Möglichkeit, selbst Initiativen zu ergreifen.

Der Ortschaftsrat kann nach § 67, Abs. 7 verlangen, dass ein Verhandlungsgegenstand, der in seine Zuständigkeit fällt, auf die Tagesordnung spätestens der übernächsten Sitzung des Gemeinderats gesetzt wird. Damit soll erreicht werden, dass der Gemeinderat sich, wenn dies vor Ort gewünscht ist, mit besonderen Problemen der Ortschaft befassen muss. Diese Regelung gilt nicht, wenn der Gemeinderat den gleichen Verhandlungsgegenstand innerhalb der letzten sechs Monate bereits verhandelt hat, es sei denn, dass sich seit der Behandlung die Sach- und Rechtslage wesentlich geändert hat.

Sitzungen des Ortschaftsrats
Der Bürgermeister (im Fall seiner Verhinderung sein allgemeiner Stellvertreter) und die Gemeinderäte, die in der Ortschaft wohnen, können an den Sitzungen des Ortschaftsrats teilnehmen. Dem Bürgermeister ist nach § 66, Abs. 4 auf Verlangen „jederzeit“ durch den Vorsitzenden das Wort zu erteilen. Dies hat zur Folge, dass der Vorsitzende ihn auch bereits vor den etwa vorliegenden Wortmeldungen Gelegenheit zur Äußerung geben muss. Damit besitzt der Bürgermeister aber kein förmliches Antragsrecht, er kann lediglich nur Anregungen und Empfehlungen geben. Er kann nicht an Stelle des Ortsvorstehers handeln; er kann den Ortsvorsteher allerdings auffordern, gegen eine Entscheidung des Ortschaftsrates Widerspruch  einzulegen, wenn sie rechtswidrig oder für die Ortschaft nachteilig ist. Den Widerspruch kann er allerdings nicht selbst einlegen, da er nicht anstelle des Ortsvorstehers handeln kann.

Der Bürgermeister kann auch Beigeordnete und Gemeindebedienstete mit seiner Vertretung bei Sitzungen des Ortschaftsrats beauftragen.12

Gemeinderäte, die in der Ortschaft wohnen und nicht Ortschaftsräte sind, können nach § 66, Abs. 4 an allen Sitzungen des Ortschaftsrats mit beratender Stimme teilnehmen, sie besitzen jedoch kein Stimmrecht. Sie sind zu allen Sitzungen des Ortschaftsrates einzuladen, also auch zu nichtöffentlichen Sitzungen. Damit sie ihre beratende Funktion wahrnehmen können, ist ihnen auch ein Rederecht einzuräumen. Anders als dem Bürgermeister steht ihnen allerdings kein sofortiges Rederecht zu, sie sind aber auf die Rednerliste zu setzen. Über den Gegenstand, den Gang und das Ergebnis einer nichtöffentlichen Sitzung des Ortschaftsrats können sie dem Gemeinderat berichten, sofern es sich um Angelegenheiten handelt, für die der Gemeinderat zuständig ist. Die Unterrichtung darf allerdings nur in einer nichtöffentlichen Sitzung erfolgen. Gemeinderäten aus anderen Ortsteilen ist nur bei öffentlichen Sitzungen die Teilnahme als Zuhörer möglich.13  


1 Die Paragrafen im fortlaufenden Text beziehen sich immer auf die Sächsische Gemeindeordnung,.
2 Vgl. Hegele/Ewert, Kommunalrecht im Freistaat Sachsen, 3. Aufl., S. 167.
3 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar, E. Schmidt Verlag, G § 65, Randnummer (Rn) 1.
4 Vgl. ebenda, G § 66, Rn 7a.
5 Vgl. ebenda, G § 65, Rn 7.
6 Ebenda, Rn 15.
7 Vgl. ebenda, G 67, Rn 5.
8 Binus/Sponer/Koolmann, Sächsische Gemeindeordnung. Kommentar, 1. Aufl. 2016, S. 228. 9 Vgl. ebenda.
10 Menke/Arens, Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Kommentar, S. 165.
11 Ebenda.
12 Binus/Sponer/Koolmann, Sächsische Gemeindeordnung. Kommentar, 1. Aufl. 2016, S. 225.
13 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar…, G § 66, Rn 10-12.